Geschichte des Max-Mannheimer-Gymnasium Grafing

Nur schwer vorstellbar sind für uns heute die Umstände, unter denen unsere Schule entstand und unter denen der Unterrichtsbetrieb aufgenommen wurde. Der Gedanke, im Landkreis eine höhere Schule zu gründen, konkretisierte sich in den 40er Jahren. Es machte sich immer deutlicher das Fehlen einer "Oberschule" bemerkbar, in der die Hauptschüler der umliegenden Gemeinden zu gymnasialen Weihen gelangen konnten. Denn nach München oder Rosenheim mit der Bahn zu fahren war verkehrstechnisch wie finanziell kaum möglich.

So konstituierte sich ein Zweckverband, der am 25. Mai 1946 beim Ministerium für Unterricht und Kultus die Genehmigung zur Errichtung einer sechsklassigen Oberschule in Grafing beantragte.

Bereits 1947 drückten dann 168 Schüler und Schülerinnen die Bänke der "Oberschule für Jungen Markt - Grafing", wobei ausdrücklich die "Aufnahme von Mädchen" als "zulässig" erklärt worden war. Für die Kinder der umliegenden Gemeinden wurden 20 Reichsmark monatliches Schulgeld festgesetzt. Unterrichtet wurde im Haus neben einer Geflügelfarm. Fünf vollkommen überfüllte Klassenräume, ein kleines Zimmer im Speicher für die zehn Lehrer (in dem auch noch evangelische Religion unterrichtet wurde), Wirtshausstühle, rauchende Öfen: es muß ebenso malerisch-filmreif wie katastrophal gewesen sein. Ein belebendes Element stellten die nebenan gackernden Hühner dar. StD i.R. Paul Hennig erzählt, daß von dem spärlichen Nachkriegspausenbrot immerhin noch so viel abfiel, daß das Federvieh die Pausenzeiten allmählich wußte und pünktlich durch Löcher im Zaun zum Schnorren kam. Manchmal geriet nach der Pause auch ein Huhn ganz "zufällig" in den Unterricht, was dann erhebliche Verwirrung bei den unvermeidlichen Fangmanövern auslöste. Im Herbst 1948 wurden im Garten zwei Baracken errichtet, um der Raumnot Herr zu werden. Jeweils eine Klassenstufe wurde in diesen Behelfsbauten unterrichtet. Herr Dr. Otto Hierneis, ein Schüler der ersten Stunde, der uns dankenswerterweise einige Photos aus seinem Album zur Verfügung gestellt hat, erinnert sich: "Ich könnte auch sonst noch einige Dinge zum besten geben. Wie z.B., daß uns Herr Stollreither mit dem Fahrrad nach Haus schickte, in meinem Fall nach Steinhöring 12 km hin und zurück, wenn wir das Schulgeld von DM 20,00 vergessen hatten! Oder dass wir aufgrund seiner Vorbildung auch in den Genuß von Fächern wie Steno und Buchführung kamen, was für mich später sehr hilfreich war (als Rechtsreferendar mußt man seinerzeit noch 90 Silben Steno pro Minute nachweisen)."

1952 waren das immerhin 63 Schüler in einer Klasse. Unzureichend war in diesen Behelfsbauten auch die Leistung des Kanonenofens, der vor dem Unterricht angeheizt wurde: schwitzten die vorderen Reihen, so fror hinten die Tinte in den Behältern ein, die vom Hausmeister regelmäßig nachgefüllt werden mußte.

Die abenteuerlichen Verhältnisse der Jahre 1946-1948 änderten sich auch in der Folgezeit nicht wesentlich. Ordentliches Schreibmaterial, Papier, Federn, Tinte oder Bleistifte, stand kaum zur Verfügung, Bücher noch viel weniger. Die fehlende "hardware" wurde durch gesteigerten Idealismus ausgeglichen, und dieser wurde seinerseits genährt durch die "Schulspeisung", die von der amerikanischen Militärregierung gesponsort wurde, für viele wohl die einzige Gelegenheit, die stets knurrenden Mägen wenigstens einmal täglich zu besänftigen. Durch die Ritzen und Astlöcher der neu errichteten Baracke blies der Wind und wehte im Winter den Schnee herein. Das provisorische Blechdach ließ mehr Regen herein als es abhielt, und im Sommer machte es die Schulstunden zu einem permanenten Saunagang.

Trotz aller widrigen räumlichen Umstände hatte die Schule ab April 1950 der Gemeinde Grafing eine monatliche Miete von 100 DM zu zahlen, wurde aber schon 1952 wegen Geldschwierigkeiten wieder davon befreit. Die Finanzen waren überhaupt eine Quelle steter Mißlichkeiten, seit die Währungsreform 1948 eine mühsam angesammelte Rücklage von 21.000 Reichsmark zu Mustern ohne Wert gemacht hatte. Die Lehrer waren Angestellte des Zweckverbandes, also der beteiligten Gemeinden, und konnten in der Regel auf ihre Bezahlung lediglich hoffen, die, so sie überhaupt eintraf, nur unregelmäßig und unzureichend war. Eine für sich genommen gute, weil soziale Verfügung hätte 1953 der Schule fast den Todesstoß versetzt. Die Staatsregierung beschloß die allgemeine Schulgeld- und Lernmittelfreiheit, jedoch ohne ausreichende Zuschüsse zur Verfügung zu stellen. In einer nächtlichen Krisensitzung wurde beschlossen, einen Verein zur Erhaltung der Schule zu gründen. Alle Schülereltern traten bei und zahlten einen Monatsbeitrag von acht Mark für das erste und von fünf Mark für jedes weitere Kind, das das Gymnasium besuchte. Damit waren die leidigen Finanzprobleme ausgestanden und das Fortbestehen der "Realschule Markt Grafing" gesichert, zumal auch die Lehrkräfte nach sieben Jahren erstmals im Dezember 1953 in den Genuß einer vollen Gehaltszahlung kamen. Ein entscheidender Schritt zu einer "richtigen" Schule wurde 1956 getan: die Villa mit Hühnerfarm hatte ausgedient! Durch den Umzug der Volksschule wurde das alte Gebäude an der Rotter Straße 4 frei, im Vergleich zur bisherigen Bleibe ein wahrhaft luxuriöses Domizil! Doch auch dieses fürstlich-exquisite Obdach war eng, baufällig und hellhörig, ähnelte mit seinen gespenstisch knarzenden Treppen mehr dem Spukschloß im Spessart als einer halbwegs tragbaren Lehr- und Lernstätte.

 

Eine Schulzeit am Gymnasium Grafing in den 50er Jahren

Nachdem ich dem Gymnasium Grafing ein paar alte Fotos für das Archiv geschickt hatte, kam von  Herrn Oberstudienrat Schötz die Anregung, vielleicht einen kleinen Bericht über meine Erinnerungen für die Website der Schule zu schreiben.

Mein Name ist Gisela Christiansen, geb. Walter, und ich habe die damalige Oberschule Grafing von 1950 bis 1954 besucht. Meine Erinnerungen an diese Zeit sind lückenhaft und naturgemäß subjektiv und können daher nur Eindrücke und  Momentaufnahmen sein. Meine erste Erinnerung ist die Aufnahmeprüfung, die 3 Tage dauerte. Es war Sommer, in den Pausen spielten wir in einem damals sumpfigen, baumbestandenen Gelände. Ich hatte extra für die feierlichen Tage neue weiße Leinenschuhe bekommen, die hinterher entsprechend aussahen! Die Prüfung selbst war vermutlich so mittelschwer, ich habe sie jedenfalls bestanden. Zwei Mädchen sind während der Prüfung ohnmächtig geworden, hatten nicht genug gegessen, aus Armut. Wie ich, war ein Großteil der Schüler Flüchtlinge, die teilweise noch unter erbärmlichen Zuständen hausten. Dennoch legten die Eltern Wert auf gute Schulbildung, obwohl man damals auch noch Schulgeld zahlen musste.

Unsere Klasse hatte den Hauptraum in einer großen Holzbaracke, die im Sommer heiß, im Winter eiskalt war. Zwei Eisenöfen standen diagonal in der vorderen und hinteren Ecke und wurden vom Hausmeister geheizt. Es gab eine Art Rotationssystem, damit jeder mal  in die Nähe der Öfen kam. Saß man davor, wurde man gebraten, weiter hinten hat man gefroren. Ich kann mich nur an wenige Lehrer und kaum Namen erinnern, nur daran, dass fast alle sehr nett und engagiert waren. Unsere Klassenlehrerin war eine ältere Dame, die uns mangels eines Instruments englische Lieder selbst vorgesungen und beigebracht hat. Ein Geographielehrer hatte den Spitznamen „Fips“. Der Biolehrer hieß Salzmann und hat die Schwester einer Mitschülerin geheiratet. Ein Fräulein Lösch unterrichtete Geschichte und hat uns mit ihrer Begeisterung  für die griechisch-römische Geschichte angesteckt. Der Religionsunterricht fand im Haupthaus statt, einer stattlichen Villa. An Sportunterricht kann ich mich überhaupt nicht erinnern. Es waren schwierige Zeiten, aber die Schulleitung hat es geschafft, dass Fahrten nach München in die Oper, in ein Hallenbad gemacht wurden, und jedes Jahr gab es einen Schulausflug. Einmal waren wir in Bad Reichenhall in dem Salzbergwerk. Es wurden Weihnachtsfeiern und Jahresabschlussfeiern veranstaltet. Die Klassen waren damals sehr groß, auf einem Foto der 7. Klasse sind wir 63 Schüler. Davon kannte ich nur diejenigen, die wie ich täglich mit dem Zug fuhren. Ich wohnte damals mit meiner Mutter und 2 Schwestern in Tulling, das war am weitesten weg, und der Zug brauchte für die ca. 15 km eine halbe Stunde. Unterwegs stiegen u.a.  ein (aus Datenschutzgründen nenne ich nur die Vornamen): Maria, Iris, Sigrid, Inge, Ellen, Margot, Brigitta. Nach der Schule machten wir teilweise die Hausaufgaben im Warteraum (auch mal noch morgens im Zug). Ich trieb mich meistens in einem Bahnhofskiosk herum, damals nur „Bei Skasa“ genannt. Dort gab es die  üblichen Kioskwaren, aber auch Bücher und eine Leihbücherei, durch die ich mich nach und nach durchgelesen habe. Bei  Skasa gab es auch das erste Industrie-Eis, „Jopa“. Erst später habe ich erfahren, dass Eugen Skasa-Weiss ein damals bekannter Schriftsteller war. Ich habe noch ein Taschenbuch mit seinen liebenswerten Kurzgeschichten. 1954 sind wir nach Wangen im Allgäu gezogen. Dort hat mich Ellen einmal besucht.

Ich würde mich freuen, wenn sich jemand an diese Jahre und die gemeinsame Schulzeit erinnern und sich bei mir melden würde. Herr Schötz hat meine e-mail Adresse.

(Gisela Christiansen)

Wir danken Frau Christiansen ganz herzlich für diesen Bericht!